Stellungnahme der Initiative Schlafen statt Strafen zur Pressemitteilung der Stadt Dortmund

“Sonderstab zieht Zweijahres-Bilanz: Dortmund erweitert Angebote für Obdachlose und Schwerstabhängige – Kontrolldruck bleibt hoch”

Die Stadt Dortmund und die Dortmunder Polizei haben kürzlich zwei Pressemitteilungen veröffentlicht, in denen sie eine Bilanz der Arbeit des Sonderstabs ziehen.

Während die Mitteilungen den Anspruch formulieren, Hilfsangebote auszubauen und damit die Situation für Betroffene zu verbessern, bleibt der Schwerpunkt zugleich stark auf ordnungspolitische Maßnahmen und Kontrolldruck gerichtet. Gerade diesen Fokus auf Repressionen sieht Schlafen statt Strafen kritisch.

Dabei zeigt sich die Abstrusität der Repressionen bereits in früheren Mitteilungen der Stadt mit der Ankündigung, Bußgelder von 250 € im Rahmen einer Ordnungsverfügung für sogenannte „Intensivstörende” zu verhängen. Wenn die 250 € nicht bezahlt werden können, kann vom Ordnungsamt eine Ersatzzwangshaft beantragt werden.

Die Maßnahme richte sich an einen „kleinen, aber hartnäckigen Personenkreis“, bei dem „Anzeigen wegen Ordnungswidrigkeiten und Platzverweise kaum Wirkung zeigen“.

Die Stadt weiß, dass diese betroffenen Menschen die 250 € nicht bezahlen können“, so Chris Möbius, Pressesprecher*in von Schlafen statt Strafen. „Es liegt also nahe, dass dieses Bußgeld gezielt ausgesprochen wird, um sie durch Ersatzzwangshaft für eine gewisse Zeit aus dem Stadtbild zu entfernen. Ein Bußgeld zu verhängen, von dem man weiß, dass es in Haft endet, ist ein zynischer Missbrauch ordnungsbehördlicher Befugnisse mit dem Ziel, Armut strafrechtlich zu verfolgen. Das ist eine unverhältnismäßige Repression, die in keiner Weise zur Verbesserung der Situation führt. Eine solche Praxis ist zudem rechtswidrig, wie beispielsweise das Dortmunder Amtsgericht in der Vergangenheit klar entschieden und dabei die Praktiken von Stadt und Ordnungsamt als überzogen kritisiert hat.“ (siehe z.B. https://bodoev.de/2022/01/07/kein-knast-fuers-knoellchen/)

Die Stadt selbst schreibt in ihrer Mitteilung: “Dabei gilt es, ein ausgewogenes Maß zwischen Repressionen sowie Präventions- und Hilfsangeboten zu finden.” Doch gerade dieses Maß sieht Schlafen statt Strafen aus dem Gleichgewicht geraten: Die repressive Maßnahme ist unangemessen hart und die betroffenen Menschen werden dabei nur noch als Störfaktoren statt als Individuen mit komplexen Lebenslagen behandelt.

Außerdem schreibt die Stadt: „Stark zugenommen haben indes die Beschwerden über „aggressives Betteln“ in der Innenstadt. Darunter versteht man ein gegenüber Passant*innen aufdringliches, teils bedrohliches Verhalten.“

Problematisch ist hierbei, dass „aggressives Betteln“ rechtlich bislang nicht definiert ist und beim Dortmunder Ordnungsamt bereits zu problematischen Interpretationsspielräumen geführt hat. 

„Uns wird laufend von Fällen berichtet, in denen das bloße freundliche Ansprechen und Fragen nach Kleingeld von Mitarbeiter*innen des Ordnugnsamtes als „aggressiv“ gewertet und die betroffenen Personen mit Platzverweisen und Bußgeldern überzogen werden.“, so Pressesprecher*in Chris Möbius. „Mit diesem Vorgehen wird schon das einfache Bitten um Unterstützung kriminalisiert. So ein Vorgehen steht rechtlich mindestens auf wackligen Füßen, da sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Recht auf Betteln als Grundrecht ansehen und dabei auch klar definieren, dass dieses Recht deutlich höher angesiedelt ist als das vermeintliche Recht von Passant*innen, nicht mit dem Leid anderer Menschen konfrontiert zu werden.“ Außerdem gibt es mehrere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, beispielsweise aus Krefeld, die grundsätzliche Bettelverbote (wie das in Dortmund auch generell diskutiert wird und durch das Ordnungsamt schon praktiziert wird) als unzulässig ansehen.

Nichtsdestotrotz begrüßt Schlafen statt Strafen die Ausweitung des Hilfeangebots. Das Nachtcafé und der zusätzliche Drogenkonsumraum auf der Rheinischen Straße sind gute Schritte, um die Lücken im Drogenhilfesystem zu schließen und können zu einer langfristigen Verbesserung der Situation beitragen. Ein wichtiger Fortschritt ist auch die Möglichkeit der Substitution mit Diamorphin, die die Stadt jahrelang verhindert hat. Warum aber noch nicht weitere Standorte mit Spritzenautomaten eingerichtet wurden, obwohl hierzu schon seit Jahren ein politischer Beschluss vorliegt, ist unverständlich. 

Auch die Bereitstellung weiterer Übernachtungsmöglichkeiten durch die Einrichtung eines Containerdorfs ist eine positive Entwicklung, da sie Menschen, denen der Zugang zu Notübernachtungsstellen (z.B. der Männerübernachtungsstelle) sonst verwehrt ist, die Möglichkeit bietet, trocken und einigermaßen geschützt zu nächtigen. 

Chris Möbius: „Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass diese Maßnahme nötig ist, weil das aktuelle Notaufnahmesystem absolut unzureichend ist und bestimmte Gruppen, beispielsweise Menschen aus dem EU-Ausland, bisher faktisch ausgeschlossen sind. Außerdem sind die bisherigen Notschlafstellen so unsicher, teilweise menschenunwürdig und nicht an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert, dass manche Menschen das Schlafen auf der Straße vorziehen. Die Unterbringung von Menschen in diesen neuen niedrigschwelligen Unterkünften darf kein Ersatz für sichere Notunterbringungen sein und entbindet die Stadt vor allem nicht von der Pflicht, nach Lösungen für Wohnungslosigkeit, wie z.B. der grundsätzlichen Armutsbekämpfung und des Ausbaus von sozialem Wohnungsbau, zu suchen.“