Q & A

Warum müssen Menschen auf der Straße schlafen, wenn es doch Schlafstellen gibt?
Theoretisch ist es so, dass jeder Mensch das Recht hat, nicht auf der Straße leben zu müssen. Das bedingt sich schon aus Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Ein Leben auf der Straße ist kaum würdevoll. Theoretisch sind die Kommunen dazu verpflichtet, Menschen, die keine eigene Wohnung haben, zu helfen und ihnen ein Dach über dem Kopf zu gewährleisten – sei es durch die Vermittlung und Finanzierung einer Wohnung oder (und das ist gedacht für kurzfristige Ausnahmesituationen, nicht für längerfristige Aufbewahrung von Menschen) durch Unterbringung in einer Gemeinschafts-Notunterkunft. In der Praxis sieht es leider oftmals anders aus und viele Menschen werden prinzipiell (kein Anspruch) oder faktisch (bürokratische Hürden, einengende Regeln, untragbare Bedingungen in den Unterkünften) davon ausgeschlossen. Das passiert ganz bewusst und mit voller Absicht, um Kosten zu senken und die Stadt nicht „zu attraktiv“ für Obdachlose zu machen.
Welche Notschlafstellen gibt es in Dortmund und reicht das für alle Menschen?
In Dortmund gibt es mehrere Notunterkünfte, z.B. die Männerübernachtungsstelle (MÜS) in der Unionsstraße, die Frauenübernachtungsstelle (FÜS) in Hörde, das „Gap Jump“ für junge Erwachsene, spezielle Einrichtungen für Kinder und Jugendliche und demnächst auch endlich wieder eine Unterkunft für Drogenabhängige am Schwanenwall. Leider reichen diese bei Weitem nicht aus und sie sind auch nicht offen für alle Menschen. Die Kapazitäten reichen nicht, um den Bedarf zu decken. Aktuell (Dezember 2022) sind alle Notschlafstellen voll, Menschen müssen in Behelfsunterkünften, wie z.B. Unterkünften für Asylsuchende, untergebracht werden.
Sind Notschlafstellen kostenlos?
Immer wieder trifft man Menschen in der Innenstadt, die nach Kleingeld für eine Übernachtung in der Notschlafstelle fragen. Sollten die Schlafstellen nicht kostenlos für die Menschen sein, die dort übernachten? In der Theorie ja, aber leider gilt das nicht für alle Menschen. Man muss dafür zunächst zum Sozialamt oder Jobcenter gehen und eine Berechtigung zur Übernachtung bzw. eine Kostenübernahmeerklärung bekommen. Diese bürokratische Hürde schließt schon Menschen aus, die aus psychischen (Depressionen, Angst vor Ämtern, Angst vor Kontakt mit Menschen etc.) oder anderen Gründen nicht in der Lage sind, diesen Gang zum Amt zu gehen. Außerdem sind bei weitem nicht alle Menschen berechtigt. Man muss dazu in Dortmund gemeldet sein uns Anspruch auf Sozialleistungen haben. Das heißt, alle Menschen, die keine Papiere haben, die keine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland haben oder die in einer anderen Stadt gemeldet sind, fallen raus. Auch viele Menschen aus dem EU-Ausland haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen und sind auf sich alleine gestellt. Sie alle müssen aktuell 393,16 € im Monat, also 13,10 € pro Nacht bezahlen.Sehr viel für ein Bett in einem Mehrbettzimmer ohne jegliche Privatsphäre, das morgens direkt wieder verlassen werden muss. Und kaum leistbar, wenn die einzige Einnahmequelle das Erbetteln von Kleingeld ist, von dem man zusätzlich auch noch etwas zum Essen und Trinken kaufen muss. Sofern Menschen über ein Einkommen wie z.B. eine Rente oder einen Arbeitslohn verfügen, verringert sich diese sogenannte „Nutzungsgebühr“ auf 6,55 €.
Was ist mit den Menschen, die Anspruch auf eine kostenfreie Unterbringung haben?
Auch viele Menschen, die eigentlich Anspruch auf kostenfreie Unterbringung haben, ziehen es lieber vor, auf der Straße zu leben. Nicht, weil sie es dort so toll finden. Sondern, weil es in den Notunterkünften oft noch unerträglicher ist. Gerade die MÜS hat einen extrem schlechten Ruf, da dort die hygienischen Bedingungen katastrophal sind, es nur Mehrbettzimmer ohne Privatsphäre gibt, Gewalt und Diebstahl unter den Bewohner*innen vorkommen und auch das Sicherheitspersonal (das nicht im Umgang mit den Menschen geschult ist und selbst unter prekären Bedingungen arbeitet) die Menschen oftmals nicht mit der nötigen Würde behandelt.
Das grundlegende Problem in der MÜS ist, dass sie von einem privaten, gewinnorientierten Unternehmen betrieben wird. Dessen oberstes Ziel ist nicht, den Menschen eine möglichst würdevolle Unterkunft zur Verfügung zu stellen, sondern das Maximum an Profit für die Aktionär*innen zu erwirtschaften. Da die Einnahmen gedeckelt und in der Gebührenordnung der Stadt Dortmund festgelegt sind, ist die einzige Möglichkeit zur Gewinnmaximierung die Kostenreduzierung. Das sieht man an allen Ecken: Es wird an der Reinigung der Einrichtung gespart, vor allem auch im Sanitärbereich. Zimmer werden immer komplett belegt, auch wenn die Einrichtung insgesamt einmal nich voll ist, anstatt die Bewohner*innen auf möglichst viele Zimmer aufzuteilen und ihnen somit die maximal mögliche Privatsphäre zu gewährleisten; das war selbst in der Hochphase der Covid-Pandemie der Fall. Im Prinzip müsste es in der Einrichtung eine sozialarbeiterische Betreuung geben; allerdings haben und alle Bewohner*innen mit denen wir sprechen konnten, die teilweise schon seit Jahren dort leben, erzählt, dass sie diese noch niemals zu Gesicht bekommen haben.
All diese Mißstände sind wissenschaftlich belegt durch Arbeiten der FH Dortmund. Sie sind der Stadt Dortmund schon seit langem bekannt. Trotzdem sieht die Stadt hier keinen Bedarf zu handeln. Das System scheint für die Stadt und den privaten Betreiber der Einrichtung zu funktionieren. Dass es für die Bewohner*innen nicht funktioniert und sie massiv unter den Zuständen leiden, scheint egal zu sein.
Soll ich Obdachlosen Geld geben?
Ja, unbedingt! Wenn du es dir leisten kannst, ist Geld oftmals die direkteste und einfachste Art, Menschen zu in ihrem Lebens- und Überlebenskampf zu unterstützen. Sachspenden sind auch super und auch absolut notwendig. Allerdings kommt es manchmal vor, dass Obdachlose den Tag über mehr Kaffee oder belegte Brötchen gespendet bekommen, als sie konsumieren können. Das führt dazu, dass die empfangene Person in einer Zwickmühle ist und entweder etwas annehmen muss, was sie nicht braucht, oder es ablehnen und dadurch undankbar erscheinen muss. Bei einer Geldspende hingegen kann der empfangende Mensch selbst entscheiden, wofür das Geld verwendet wird. Die Menschen wissen das in der Regel selbst am besten, ob sie gerade etwas zu Essen oder Trinken brauchen, die Übernachtung in der Notunterkunft oder einem Hostel bezahlen, oder sich auch einmal etwas „Besonderes“ davon gönnen. Diese Selbstbestimmung ist auch ein Stück Menschenwürde.
Wir kommen immer wieder mit Menschen ins Gespräch, die Obdachlosen kein Geld geben mögen, aus Sorge, dass diese es in Alkohol oder andere Drogen investieren. Das ist ein ganz natürlicher Reflex, spiegelt aber vor allem die (gesellschaftlich antrainierte) paternalistische Sicht auf Obdachlose und andere marginalisierte Menschngruppen, denen in unserer Gesellschaft die Selbstbestimmung und eigene Ziele und Wünsche abgesprochen werden. Natürlich ist es möglich, dass die empfangende Person sich von der Geldspende ein Bier kauft, und dass dadurch eine Suchterkrankung gefördert wird. Dieses Bier kann aber überlebenswichtig sein oder zumindest ein würdevolleres, selbstbestimmteres Leben ermöglichen als ohne. Die Flucht in einen Rausch ist oftmals der einzige (zeitlich begrenzte) Ausweg aus einer untragbaren, belastenden Lebenssituation. Wir plädieren deshalb dafür, Menschen eher Geld zu geben, als ungefragt etwas vom Bäcker zu holen. Falls ihr dabei ein schlechtes Gefühl habt, könnt ihr die Person auch ansprechen und fragen, was sie gerade braucht, und ihr das dann holen. Das könnte sogar der Start in ein interessantes Gespräch sein.
Falls ihr zu dem Thema eine andere Meinung habt, würden wir uns freuen, wenn wir darüber ins Gespräch kommen könnten. Schreibt uns einfach eine E-Mail an schlafenstattstrafen@riseup.net oder kontaktiert uns über Social Media.
Was tun, wenn Menschen in Notlagen sind?
Gerade Kälte oder große Hitze sind gefährlich für Obdachlose, die keine Möglichkeit haben, sich gut dagegen zu schützen. Aber auch so kann es z.B. zu medizinischen Notfällen kommen. Wenn ihr euch Sorgen um eine Person macht, dann sprecht sie einfach an und fragt, ob alles in Ordnung ist. Die Menschen können das oftmals selbst gut einschätzen, ob sie beispielsweise in einer kalten Nacht noch gut draußen zurecht kommen oder nicht. 
Falls ihr euch aber trotzdem Sorgen um die Person macht, keine Kommunikation möglich ist, die Person nicht ansprechbar ist oder ganz offensichtlich ein medizinischer Notfall vorliegt, dann ruft unbedingt einen Rettungswagen unter 112. Wenn ihr könnt, dann bleibt bei der Person, bis der Rettungswagen da ist und die RTW-Besatzung die Person begutachtet und das Problem eingeschätzt hat. Leider kommt es ab und zu vor (zum Glück ist das die Ausnahme, nicht die Regel), dass RTW-Besatzungen obdachlose Menschen nur ungern behandeln, vor allem, wenn sie alkoholisiert und/oder ungewaschen sind.
In Dortmund funktioniert es in der Regel ziemlich gut, wenn man die Rettungsleitstelle unter 112 anruft und die Situation schildert. Es wird dann (sofern kein akuter medizinischer Notfall vorliegt, der unmittelbares Handeln nötig macht) ein RTW/KTW geschickt, um die Situation abzuchecken und der Person weitere Hilfe anzubieten. In anderen Städten gibt es teils eine rund um die Uhr erreichbare Kältehilfe, die diese Aufgabe übernimmt, Infos darüber sind meist online zu finden.
Ruft unter gar keinen Umständen die Polizei! Niemals! Viele obdachlose Menschen haben traumatisierende Erfahrungen mit übergriffigen Polizist*innen gemacht und die Polizei hat meist wenig Empathie und Erfahrung im Umgang mit obdachlosen Menschen auf Augenhöhe. Interaktionen mit der Polizei können für obdachlose Menschen belastend sein und im schlimmsten Fall mit Polizeigewalt enden.
Was versteht man unter „obdachlosenfeindlicher Architektur“?
Der Begriff „obdachlosenfeindliche Architektur“ beschreibt die Gestaltung des öffentlichen Raumes auf eine Art und Weise, dass er möglichst unattraktiv für obdachlose Menschen ist, sich darin aufzuhalten. Durch solche Maßnahmen soll es unmöglich oder zumindest unangenehm sein, an ansonsten geeigneten Orten ein Nachtlager aufzuschlagen oder seine Notdurft zu verrichten. Man findet solche Gestaltung in den meisten deutschen Städten an quasi jeder Ecke. Es beginnt damit, dass es an öffentlichen Plätzen, die leicht zugänglich sind und wo sich viele Menschen aufhalten, wie z.B. Marktplätzen und Parks, oftmals nicht in ausreichender Anzahl Bänke oder andere Sitz- und Liegemöglichkeiten gibt und sie sehr oft auch nachts komplett hell ausgeleuchtet sind. Wenn es in Innenstädten Bänke gibt, dann sind diese oftmals so gestaltet, dass es keine durchgängige Sitzfläche gibt, auf der ein Mensch sich bequem hinlegen kann. Dazu werden einzelne Sitzschalen oder Zwischenbügel angebracht oder die Flächen sind gewölbt oder die gesamte Bank gerundet. Dadurch kann man zwar gut sitzen, aber nicht liegen. An anderen Stellen, wo Menschen sich beispielsweise an Ladeneingängen hinlegen könnten, versperren Gitter den Zugang oder es werden Spitzen oder andere Objekte auf der Bodenfläche angebracht, die ein Hinlegen sehr schmerzhaft machen. Es ist im Einzelfall nicht immer leicht zu sagen, ob Bänke, Gegenstände und Orte mit solchen Elemente zur „Abwehr“ von obdachlosen Menschen so gestaltet wurden oder beispielsweise aus ästhetischen Gründen. Oftmals ist es aber doch sehr offensichtlich und die große Menge von solcher Raumgestaltung ist sehr, sehr auffällig.
Warum wird das gemacht? Das ist ganz einfach: Unsere Innenstädte sind generell nicht dazu gedacht, dass Menschen sich länger im öffentlichen Raum aufhalten. Die meisten Städte sind komplett auf Konsum ausgelegt und es ist erwünscht, dass man sich z.B. in einem Café hinsetzt und dort konsumiert, anstatt dass man sich auf eine Bank auf dem Marktplatz setzt und dort ein mitgebrachtes Brötchen isst oder einfach nur sitzt, ohne etwas zu sich zu nehmen. Städte sind komplett nach kapitalistischen Bedürfnissen gestaltet. Und daher ist es auch nur eine logische Konsequenz, dass Menschen, die sich die Teilnahme an diesem gewünschten Konsum nicht leisten können, komplett verdrängt werden. Aus Händler*innensicht kann es sogar noch irgendwie nachvollziehbar sein, dass ein Nachtlager vor der eigenen Tür nicht erwünscht ist. Durch defensive Architektur werden aber natürlich überhaupt keine Probleme gelöst, sondern nur Menschen, die ohnehin kaum Perspektiven haben, noch weiter diskriminiert und aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt.
Einige sehr eindrückliche Beispiele aus Dortmund findet ihr hier: http://kurt.digital/2022/09/28/armlehnen-und-metallstacheln-wenn-architektur-feindlich-wird/
Was ist „Housing First“ und wie könnte es helfen?
Housing First ist ein Konzept, das als Ursache der meisten Probleme von Obdachlosen das Fehlen einer eigenen Wohnung mit Privatsphäre und Verlässlichkeit ausmacht. Unser momentanes Hilfesystem versucht, Obdachlose beim Leben auf der Straße oder in Notunterkünften zu unterstützen und konzentriert sich auf die Behandlung von Symptomen (Hunger, Kälte, Krankheit, Sucht,…). Es wird erst versucht, die Menschen durch Eingliederung ins Sozialhilfesystem, Drogenentzug und vorrübergehende Unterbringung in begleitete Wohngruppen auf ein selbständiges Leben vorzubereiten, bevor versucht wird, sie in Wohnungen zu vermitteln. Housing First dreht das um: Hier wird eine Wohnung zur Verfügung gestellt ohne Vorbedingungen und durch sozialarbeiterische und psychologische Hilfe unterstützt. In Finnland, wo das schon seit einigen Jahren flächendeckend praktiziert wird, ist das ein großer Erfolg. Es hat sich gezeigt, dass sich viele Begleiterscheinungen wie Drogenkonsum, psychische Probleme und anderes deutlich reduzieren lassen, wenn Menschen eine eigene Wohnung haben und nicht in ständiger Ungewissheit leben, wo und wie sie die nächste Nacht verbringen müssen. In Finnland gibt es inzwischen fast keine Obdachlosigkeit mehr.
Natürlich ist es illusorisch, dass Housing First alle Probleme von einem Tag auf den anderen lösen wird. Es wird auch immer Menschen geben, die nicht eigenständig leben können und beispielsweise in einer betreuten Wohngruppe besser aufgehoben sind. Dennoch sind wir der festen Überzeugung, dass Housing First auch hier in Dortmund und darüber hinaus ein wichtiger Baustein der Obdachlosenhilfe sein muss. Die Stadt Dortmund hat sich eigentlich auch schon im Mai 2021 dazu bekannt. Leider wurde bisher aber noch nicht einmal der beschlossene Modellversuch mit 20 Wohnungen (ein Witz angesichts ca. 900 Obdachloser in Dortmund) umgesetzt. Wie so oft folgt in Dortmund auf großspurige Ankündigungen überhaupt nichts mehr.