Wir als Gruppe haben uns als Reaktion auf den Sicherheitsdienst, den der Cityring eingestellt hat, um obdachlose Menschen zu verdrängen, gegründet. Danach kam unser Protestcamp und Obdach- und Wohnungslosigkeit wurde ein fester Bestandteil in den Diskussionen der Presse aber auch des Rates. Der Rat führte auch viele Diskussion z.B. um die Umsetzung von Housing First, kleine Verbesserungen an der Männerübernachtungsstelle und ein Pilotprojekt für öffentliche Toiletten (ein Pilotprojekt, das dann für seine Notwendigkeit evaluiert wird. Als wäre die Notwendigkeit von Toiletten noch evaluierungsbedürftig und nicht gegeben). Aber insgesamt gab es kleinere Ansätze in der Lokalpolitik. Keine Meilensteine, aber langsamer, vorsichtiger Fortschritt.
Dann kam Crack und wenn wir Oberbürgermeister Westphal zitieren dürfen: „Crack verändert alles“. Das ist eine gewagte These. Und keine wahre. Denn viele Nöte obdachloser und wohnungsloser Menschen haben sich nicht verändert und werden immer noch nicht angesprochen, ganz egal wie sich der Crack Konsum in Dortmund entwickelt hat. Notunterkünfte haben sich nicht verbessert, Diskriminierung findet weiterhin statt, nicht jede*r hat ein Anrecht auf kostenfreie Unterbringung et cetera, et cetera.
Aber Crack hat vieles in der öffentlichen Diskussion verändert und natürlich auch im täglichen Erleben von Menschen sowie in den Drogenhilfeeinrichtungen.
Also, lasst uns einen Blick auf die „Crackkrise“ in Dortmund werfen. Das Thema hat sich vor allem in den Medien und in der Öffentlichkeit verbreitet, weil erneut Händler*innen aus der Dortmunder Innenstadt sich öffentlich an die Presse und damit auch an die Politik gewandt haben. Zum Teil haben sie nachvollziehbare Sorgen geäußert, weil sie sich unter anderem nicht sicher gefühlt haben oder Konsumbesteck von ihren Ladeneingängen entfernen mussten. Das ist ernstzunehmen und auch Crack muss ernstgenommen werden, durch den hohen Suchtfaktor und die Schnelligkeit, mit denen es Leben und Gesundheit zerstören kann. Diese Perspektive ist jedoch oft im öffentlichen Diskurs verloren gegangen. Die Perspektive der betroffenen Menschen, der suchtkranken Menschen. Oft ist der Aufschrei der Händler*innen in menschenverachtende Sprache gedriftet und wurde oft zu Hetze statt Hilferuf.
Ähnlich wurde das Thema dann auch in der Politik widergespiegelt. Es war eine scharfe Diskussion in Politik und Medien. Fast sofort wurden Rufe nach mehr Polizei, mehr Ordnungsamt, mehr Verdrängung laut. Der Drogenkonsumraum, eine der primären Hilfeeinrichtungen, sollte aus der Innenstadt verschwinden. Es gab viele spontane, reaktive Forderungen, die keiner wissenschaftlichen Betrachtung entsprachen.
Am Ende wurde eine gemeinsame Sondersitzung des Sozialausschusses und des Ausschusses für Beschwerden und Bürgerdienste einberufen, um sich mit dem Thema in Ruhe auseinander zu setzen. Beschlossen wurden dort vor allem die Erstellung strategischer Pläne in Zusammenarbeit mit den Trägern und eine Prüfung des aktuellen Standortes des Drogenkonsumraums. Und natürlich die Null-Toleranz Strategie vor allem auf Initiative der „christlich“ demokratischen Union, die auf Vertreibung und Bestrafung statt Hilfe und Beratung setzt. Es wurde beschlossen, Verdrändung und Repression als einen Hauptpfeiler des Umgangs mit der Crack-Problematik zu machen.
Das passt tatsächlich auch gut zum Sonderstab, den OB Westphal aus der Verwaltung heraus kurz vor der Sondersitzung ins Leben gerufen hatte. Noch vor der Sondersitzung, somit ohne politischen Auftrag, sondern als Reaktion auf den Lobbyismus der Händler*innen. Eingerichtet wurde ein Sonderstab mit fünf Untergruppen: Stadtraum verschönern, Campieren reduzieren, Belästigung bekämpfen, Sucht vermeiden und Suchthilfe weiterentwickeln. Präsentiert wurde dieser in Zusammenarbeit mit der Polizei, dem Kommunalem Ordnungsdienst, aber ohne das Sozialamt. Bezeichnend.
Auch Träger werden nur marginal mit einbezogen. Betroffene gar nicht.
Stattdessen brüstet sich die Verwaltung, die Polizei, das Ordnungsamt und der SPD OB mit den Zahlen zu den verwarnten, festgenommenen und mit Bußgeldern belegten Menschen. Die Verdrängung würde Erfolge zeigen. Umliegende Städte hätten schon Angst, dass Leute aus Dortmund zu ihnen kommen würden, um der Verdrängung zu entgehen. Das ist also der aktuelle Lösungsansatz. Strafen, die nicht bezahlt werden können statt Hilfe. Verdrängung, um „die Stadt zu verschönern“ anstatt Problemlösung durch Unterstützung.
Nun hat Westphal den ersten Plan des Sonderstabes veröffentlich. Endlich zeigen sich neben dem hochgehaltenen Ordnungsdruck auch ein paar soziale Ansätze. So sollen weitere, zusätzliche, dezentrale Konsumräume in Innenstadt Ost, West und Nord entstehen, um das Angebot auszuweiten und das Kick in der City zu entlasten. Ein sehr guter Ansatz. Die Umsetzung dieser Räume sollte jetzt in Zusammenarbeit mit Trägern konzipiert werden, denn die wissen, was, wieviel und wo gebraucht wird. Diese Zusammenarbeit fehlt aktuell noch.
Zusätzlich möchte der Sonderstab eine niederschwellige Übernachtungsmöglichkeit in HBF Nähe erreichten. Auch das ist an sich zu begrüßen, sofern diese allen Menschen kostenlos zugänglich ist und menschenwürdige Unterbringung schafft, die einen schnellen Übergang zu langfristigem Wohnen ermöglicht. Man darf auf das Konzept gespannt sein, ob es nur eine weitere „Verschönerungsmaßnahme„ des Hauptbahnhofs ist und der „Einkaufsstadt Dortmund“ dienen oder tatsächlich den betroffenen Menschen helfen soll. Die Idee an sich ist ein Schritt in die richtige Richtung, die Umsetzung muss beobachtet und von Trägern und Betroffenen mitgestaltet werden.
Ein Hauptproblem von Westphals Plans ist der Umgang mit dem existierenden Drogenkonsumraum, dem Kick. Westphal verkündet die Verlegung des Raums. Es soll ein neuer Innenstadt–naher Raum gefunden werden und sobald dieser Einsatzbereit ist soll der aktuelle Raum umziehen. Mit dieser Entscheidung hat Westphal auf den Lobbyismus der Händler*innen reagiert und den Druck der Presse. Es gibt keine wissenschaftliche Grundlage für diese Entscheidung. Die kürzlich Verlängerung der Öffnungszeiten wurde nicht evaluiert. Zusätzlich ist es nicht realistisch, dass schnell oder überhaupt ein neuer Standort gefunden wird. Es wurde für den aktuellen Standort schon lange und ressourcenintensiv gesucht. Warum sollte es auf einmal einen besseren Standort geben?
Ein Drogenkonsumraum muss gut fußläufig erreichbar sein, so wie der jetzige. Ohne ÖPNV, da viele Menschen keine Mittel für Fahrkarten haben. Und er muss City nah sein, da die City der Ort der Beschaffung von Geld für Drogen ist, also muss der Konsumraum dort in der Nähe sein. Der Beschaffungsraum wird sich nicht ändern, also wird der Konsum bleiben, wenn der Konsumraum weggeht, und wieder in der Öffentlichkeit stattfinden.
Egal, ob ein gleichwertiger oder besserer Standort gefunden wird, bedeutet die Aussage Westphals erst einmal Verunsicherung. Für die Betroffenen, für die Mitarbeitenden. Das Kick hat aus der Presse erfahren, was Westphal plant. Anstatt die gute Arbeit des Kicks zu würdigen, stellt man seine Legitimation in Frage. Wir glauben nicht, dass das der richtige Weg ist.
Westphals gesamter Sonderstabs-Plan wurde kürzlich mit kleinen Änderungen im Sozialausschuss beschlossen. Die nördliche Innenstadt wurde als Standort für Drogenkonsumräume inzwischen durch die Fraktionen ausgeschlossen, um die Nordstadt nicht noch weiter zu belasten. Die anderen Teile des Plans sind im ASAG beschlossen. Es bleibt abzuwarten, wie sie umgesetzt werden.
Parallel zu diesen Entwicklungen laufen gerade auch noch die Haushaltsverhandlungen, die in der nächsten Ratssitzung abschließend beschlossen werden. Also die Entscheidung wofür Gelder dieses und teilweise nächstes Jahr genutzt werden. Dort sind einige Eingaben enthalten, die zur Obdachlosen- und Wohnungslosenhilfe gehören, wie das Hygienezentrum im Gasthaus, eine Erweiterung des Streetworks für Kinder und Jugendhilfe und Gelder für die Erstellung eines Plans zur Überwindung von Obdachlosigkeit. Viele dieser Beratungs- und sozialen Angebote haben eine gute Chance beschlossen zu werden und sind gute Ansätze für die Hilfen, die benötigt werden.
Gleichzeitig sind aber auch 12 weitere Stellen im kommunalen Ordnungsdienst und Radarsensoren und Bewegungssensoren auf Spielplätzen geplant um vor „Vandalismus zu schützen“. Die KOD Stellen sind vor allem für die Außenbezirke vorgesehen, damit man die Innenstadt weiter so unter Druck setzen kann wie aktuell. Viele wichtige Handlungsfelder wie sozialer Wohnungsbau und die Unterstützung von Selbstvertretungen fehlen komplett in den Haushaltsberatungen.
Alles, was in den letzten Monaten beschlossen und diskutiert wurde, von der Presse, über den Sonderstab bis hin zu den Haushaltsverhandlungen, zeigt die Zerrissenheit der Politik und der Stadt. Es wird viel auf Verdrängung, Härte, Bestrafung und Entmenschlichung gesetzt. Gleichzeitig werden einige Hilfen aufgebaut und bestehende unterstützt, die einem Hoffnung machen können. Durch die Reihen fehlen jedoch die Einbeziehung betroffener Menschen und Einbeziehung der Träger und die langfristige Ausrichtung. Es scheint keine Überlegungen zu geben, abgesehen von Housing First, wie das Problem Wohnungslosigkeit langfristig gelöst werden kann. Wie eines Tages jeder Mensch in Dortmund eine Wohnung haben kann.
Wir sind unter anderem auch hier, weil wir daran erinnern möchte, wie weit der Weg ist den wir gehen müssen. Wie wichtig dieser Weg ist. Wir sind hier um die Politik aufzufordern, die betroffenen Menschen wieder in den Mittelpunkt zu stellen und nicht eine schöne Einkaufsstadt oder oberflächliche Lösungen für schnelle Wahlgewinne.
Die Stadt Dortmund muss mehr tun. Mehr Hilfe, mehr Unterstützung, mehr Teilhabe.