Wir sind die Initiative „Schlafen statt Strafen“ aus Dortmund. Wir wollen die Probleme von obdach- und wohnungslosen Menschen aufzeigen und stellen uns gegen ihre Diskriminierung. Eines unserer größten Anliegen ist es, dass betroffene Menschen selbst die Möglichkeit bekommen, auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Dass ihre Stimme endlich gehört wird.
Nun ja, jetzt stehe ich hier als nicht betroffene Person. Wie passt das zusammen?
Wir hätten diesen Redebeitrag gerne an eine ehemals obdachlose Frau aus unserem Umfeld abgegeben. Sie könnte am besten von ihren Erfahrungen und von der Situation betroffener FLINTA erzählen. Leider hat die Demo-Orga diesen Wunsch abgelehnt, weil grundsätzlich aktivistische Gruppen und nicht Einzelpersonen sprechen sollen. Dadurch soll eine systemische Einordnung anstatt persönlicher Erfahrungen im Zentrum der Demo stehen.
Wir können das zu einem gewissen Teil nachvollziehen. Andererseits ist es extrem schade, denn niemand von uns kann euch ein besseres Bild geben als betroffene Menschen. Dadurch fehlt es an Repräsentation der betroffenen Menschen. Eine Repräsentation, die es gerade auch in der linken Szene kaum gibt.
Dieses Nicht-Einbeziehen zieht sich auf allen Ebenen durch das Leben von obdachlosen Menschen. Sie werden selten nach ihren Bedürfnissen gefragt. Sogar viele Menschen, die es gut meinen, kaufen obdachlosen Menschen beispielsweise ungefragt einen Kaffee, während der Mensch vielleicht dringender Kleingeld für die Übernachtungsstelle bräuchte oder überhaupt kein Koffein vertragen.
Das geht weiter auf institutioneller Ebene. Das Hilfesystem ist komplett von Entmündigung durchzogen. Das liegt nicht an den Menschen, die dort haupt- und ehrenamtlich tätig sind, sondern an den Strukturen und den Trägerorganisationen. Viele betroffene Menschen ertragen diese Entmündigung nicht und ziehen das Schlafen auf offener Straße den Notschlafstellen vor. In der breiten Gesellschaft, Verwaltung und Politik werden die Bedürfnisse obdachloser Menschen auch meistens ignoriert. Oftmals werden Betroffene weniger als Menschen, sondern vielmehr als Ärgernis betrachtet, das aus dem öffentlichen Sichtfeld verdrängt werden muss mit Sicherheitsdiensten und Platzverweisen vom Ordnungsamt.
Deshalb wäre es so wichtig, dass obdachlose Menschen gerade in linken Gruppen und Strukturen Gehör finden, dass ihnen die Möglichkeit gegeben wird, auf großen Demos wie heute hier ihre Stimme zu erheben. Als emanzipatorische Linke ist es unsere Pflicht, betroffenen Menschen zuzuhören und ihnen in ihrer Selbstermächtigung beizustehen. Das war heute hier nicht gewünscht. Und das kritisieren wir scharf.
Trotzdem danken wir der Demo-Orga dafür, dass wir heute auf dieses Thema aufmerksam machen dürfen und dass auch diese Kritik willkommen ist.
Und jetzt wollen wir doch noch betroffene Menschen zu Wort kommen lassen, zumindest indirekt. Wir haben in der Vorbereitung für diesen Redebeitrag mit aktuell und ehemals betroffenen Frauen gesprochen und sie gefragt, was die größten Probleme speziell für obdachlose FLINTA sind und was es ihrer Meinung nach bräuchte, um die Situation zu verbessern.
Diese Gespräche drehten sich um unterschiedliche Themen und leider werden wir nicht alle Themen hier ansprechen können. Aber in einem waren sich unsere Gesprächspartner*innen einig: Das größte Problem von obdachlosen FLINTA, um es in Janitas Worten zu sagen,
„[…]das ist die Sichtbarkeit. Dass sie immer noch so gut wie unsichtbar sind und, wenn sie sichtbar werden, immer mit sehr starken psychischen Erkrankungen in Verbindung gesetzt werden. Aber [dass] die wohnungslosen Frauen, die verdeckt leben, überhaupt nicht sichtbar sind.“
Obdachlose FLINTA sind einer krassen Mehrfachdiskriminierung ausgesetzt. Auf der Straße haben sie keinen Rückzugsort, an dem sie vor Übergriffen sicher sind. Das führt dazu, dass FLINTA häufig in verdeckter Wohnungslosigkeit leben, indem sie beispielsweise bei Bekannten unterkommen. Dort sind sie oftmals starken Machtgefällen ausgesetzt, teils mit Übergriffen, sexueller Ausbeutung bis zur Zwangsprostitution einher. Daher ist die Hauptforderung einer Gesprächspartnerin, die anonym bleiben möchte, dass es mehr Frauenhäuser und einen einfachen Zugang zu ihnen geben muss, damit Betroffene diesen gewaltvollen Verhältnissen entkommen können. Das geht natürlich einher mit Forderungen nach mehr bezahlbarem Wohnraum.
Zusätzlich fehlt es an geschlechterspezifischer medizinischer Versorgung und ein Ausbau des Hilfesystems für Opfer häuslicher Gewalt ist nötig. Es braucht vereinfachten Zugang zu verschiedenen Unterstützungsangeboten von Beratung zu Justiz zu Jugenamt, um nur einige zu nennen. Und diese Hilfe muss für alle Menschen zugänglich sein, unabhängig von Einkommen, Bildung, Herkunft, Geschlecht, Sexualität, Gesundheit et cetera et cetera. Jede*r hat ein Recht auf Schutz vor Gewalt.
Zusätzlich wollten die Frauen, mit denen wir gesprochen haben, das Thema Obdachlosigkeit enttabuisieren, und dass obdachlose Menschen endlich gesellschaftlich als vollwertige und mündige Menschen anerkannt werden. Sie möchten, und damit sprechen sie für viele Betroffene, Teil von sozialen Kämpfen sein und selbst ihre Stimme erheben. Lasst uns diesen Stimmen endlich zuhören!
Abschließen möchten wir dann auch mit einem Zitat aus Janitas Buch „Die Anderen“. Darin heißt es: „Schreibt obdachlose Menschen nicht ab! Gebt ihnen Würde, Respekt und ihre eigene Stimme zurück. Nur gemeinsam können wir eine solidarische Gesellschaft schaffen.“