Rede zur Demo in Bochum zum Thema „Zusammenhalt statt Zwangsräumung“ am 06.04.24

Hallo Bochum!

Wir sind heute aus Dortmund rüber zu euch gekommen, um über Obdachlosigkeit zu sprechen. Danke für die Einladung!

Dass Zwangsräumungen und Obdachlosigkeit irgendwie zusammenhängen, ist ja vermutlich allen von euch klar. Ist ja logisch: wenn Menschen aus ihrer Wohnung geworfen werden, kann es sein, dass sie auf der Straße landen. Aber es macht Sinn, diesen Zusammenhang mal genauer anzuschauen. Das wollen wir jetzt machen. Und dann sehen wir, dass Zwangsräumungen und eine Wohnungspolitik, die Zwangsräumungen zulässt, direkt und massiv dazu beiträgt, dass es immer mehr Menschen gibt, die ohne Wohnung oder sogar ohne Obdach leben müssen.

Wenn wir schauen, warum Menschen obdachlos werden, dann sind die Gründe oftmals eine Kombination aus einschneidenden Lebensereignissen wie dem Verlust wichtiger Menschen oder der Arbeit, Überschuldung, psychischen Erkrankungen, Suchterkrankungen. Das kann extrem schnell gehen und sobald das geregelte Einkommen wegbricht und mensch die Wohnung nicht mehr bezahlen kann, ist die Wohnungslosigkeit nicht weit. Und so steht am Anfang von Wohnungslosigkeit in vielen Fällen eine Zwangsräumung. Das kann uns allen passieren und es kann schneller gehen, als mensch denkt. Wer kein persönliches Umfeld hat, das vielleicht noch eingreifen und unterstützen kann, hat besonders schlechte Karten.

Und wenn ein Mensch dann erst einmal die Wohnung verloren hat und nicht direkt eine neue findet, dann fangen die Probleme erst richtig an. Wir haben einen Wohnungsmarkt mit zu wenigen Wohnungen – vor allem zu wenigen bezahlbaren Wohnungen – und zu vielen Interessent*innen. Das heißt, die Vermieter*innen können sich aussuchen, wer eine Wohnung bekommt. Und dann ist ja klar, dass die Menschen, die nur ein kleines oder kein Einkommen haben, die Schulden haben, die vielleicht psychische Erkrankungen oder Suchterkrankungen haben, es noch viel schwerer haben als alle anderen. Für Menschen, die zum Beispiel einen schlechten Schufa-Score haben, ist es fast unmöglich, auf normalem Weg an eine Wohnung zu kommen. Menschen, die von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind, haben noch schlechtere Karten. Und wenn mensch erst einmal komplett raus ist, also eine Zeit lang keine eigene Wohnung gehabt hat, dann wird es immer schwerer und schwerer, wieder aus der Situation heraus zu kommen. Je länger die Zeit ohne Wohnung, desto schwieriger ist es, wieder in eine zu kommen. Ein Teufelskreis.

Und so landen viele Menschen, die ihre Wohnung verlieren, in Notunterkünften. Das sind so Massenunterkünfte, in denen die Menschen dann in Mehrbettzimmern leben, ohne Privatsphäre, wo sie sich zu Dutzenden eine Dusche teilen müssen. Wo es in der Regel viel zu wenig Hilfestellung dabei gibt, wieder auf die Beine zu kommen. Wir haben mehrere solcher Notunterkünfte in Dortmund und kennen viele Menschen, die dort wohnen oder mal gewohnt haben. Und die Zustände, von denen diese Menschen uns erzählen, sind katastrophal. Keine Ruhe, keine Privatsphäre, ständig Unruhe, Gewalt und Schikane durch das Sicherheitspersonal oder unter den Bewohner*innen, unglaublich eklige hygienische Bedingungen. Komplett menschenunwürdig. Also Zustände, in denen Menschen nicht einmal für kurze Zeit wohnen sollten. Und schon gar nicht über einen längeren Zeitraum. Aber genau das passiert: Weil es nicht genug Wohnungen gibt, sind die Menschen oft dazu gezwungen, viele Monate oder Jahre unter unmenschlichen Bedingungen in Notunterkünften zu leben. Und diese unmenschlichen Bedingungen sind kein Zufall, sonder Absicht, weil die Notunterkünfte teils durch profitorientierte Konzerne wie European Homecare betrieben werden, die den eigenen Profit über Menschenrechte stellen. Das ist absolut inakzeptabel! Ein Land, das sich so viel auf das angeblich tolle soziale Sicherungssystem einbildet, sollte sich echt dafür schämen, wie mit diesen Menschen umgegangen wird!

Weil die Notunterkünfte so beschissen sind, schlafen viele Menschen selbst im Winter lieber auf der Straße. Andere haben nicht einmal eine Wahl. Weil nicht alle Menschen Zugang zu den Notunterkünften haben, wenn sie zum Beispiel den falschen Pass  haben. Außer sie bezahlen selbst für die Übernachtung, aber das können sie sich halt oftmals einfach nicht leisten. Auch für Menschen mit psychischen Problemen, mit Suchtdruck oder mit Tieren ist es noch schwieriger als für andere, irgendwo unterzukommen. Und dass ein solcher Ort kein Schutzraum für queere oder rassifizierte Menschen ist und deshalb oft keine Option, ist ja auch irgendwie klar. Wenn also der Dortmunder Oberbürgermeister behauptet, dass in Dortmund niemand auf der Straße schlafen muss, dann lügt er ganz bewusst. In Dortmund sind diesen Winter mehrere Menschen auf der Straße gestorben, mindestens einer davon erfroren. In ganz Deutschland erfrieren jeden Winter Dutzende Menschen. Dazu gibt es keinen Rückzugsraum, man ist jeder Gewalt schutzlos ausgeliefert. Vor einigen Monaten haben Jugendliche in Herford einen schlafenden Obdachlosen totgeprügelt, weil sie es lustig fanden. Das passiert leider auch ziemlich regelmäßig. Und leider ist es schon wieder passiert, und zwar bei uns in Dortmund. Erst vorgestern wurde am Hafen ein 31-jähriger obdachloser Mensch von vier Jugendlichen getötet. Wir sind entsetzt! Wir wissen bisher nicht viel und auch nicht, wer der Mensch war, aber eines ist klar: Menschen, die in Wohnungen leben, sind vor solcher Gewalt sicher. Menschen auf der Straße sind ihr oftmals schutzlos ausgeliefert.

Dazu kommt die Stigmatisierung und die Diskriminierung. Obdachlosen Menschen wird nicht einmal das letzte bisschen Würde gelassen, das sie noch haben. Die Städte überbieten sich inzwischen darin, ihre Innenstädte möglichst unattraktiv zu machen. Obdachlosenfeindliche Architektur, also beispielsweise Bänke, auf denen man nicht schlafen kann, Bettelverbote, Campierverbote, fehlende Toiletten, Ordnungsämter, die explizit gegen obdachlose Menschen vorgehen. Das ist Alltag in den meisten Städten. Auch in Dortmund, wo der Oberbürgermeister unter dem Einfluss der Händler*innenlobby steht und es sich – gegen den Rat aller Expert*innen – zum Ziel gesetzt hat, durch massive Repression obdachlose und substanzabhängige Menschen aus der Innenstadt und aus dem Blickfeld zu verdrängen. Er hat damit leider durchaus Erfolg. Kein Mensch hält diesen Repressionsdruck lange durch. Aber die  Menschen sind dadurch ja nicht weg, sie weichen nur in andere Stadtviertel aus, die Probleme bleiben aber bestehen.

Und auch in diesem Zusammenhang mit staatlicher Diskriminierung und Gewalt mussten wir diese Woche in Dortmund schon sehen, wohin das führen kann. Am Mittwoch wurde ein 52-jähriger obdachloser Mensch, der sich offenbar in einer psychischen Ausnahmesituation befand, von der Polizei erschossen. Es gibt erschütternde Videos von dieser Tat und die große Frage, warum das schon wieder passieren musste? DIe Polizei ist nicht fähig und nicht gewillt, solche Situationen ohne Gewalt zu lösen. Nein, solche Gewalt gehört ganz normal dazu und obdachlose Menschen sind ihr schutzlos ausgesetzt. Wir könnten hier jetzt einen eigenen Redebeitrag zu Polizeigewalt gegen Obdachlose halten, aber das würde den Rahmen jetzt leider sprengen.

Wir möchten euch aber bitten, mit uns gemeinsam in einer Schweigeminute den beiden getöteten Menschen zu gedenken und allen anderen obdachlosen Menschen, die einfach nur deshalb Ziel tödlicher Gewalt wurden, weil sie ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße hatten.

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Danke! Wir werden an diesen beiden Fällen dran bleiben und auf Social Media über Entwicklungen berichten.

Aber wie lösen wir jetzt das eigentliche Problem? Die Antwort ist so einfach: Mehr bezahlbare Wohnungen, Sozialwohnungen, in vergesellschaftetem, nicht profitorientiertem Besitz. Die Rechnung ist da wirklich einfach: Wir brauchen mehr Wohnungen, als es Menschen gibt, die eine Wohnung brauchen. Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosigkeit waren 2022 ungefähr 450.000 Menschen wohnungslos, davon 50.000 obdachlos auf der Straße. Also brauchen wir bezahlbare Wohnungen für eine halbe Million Menschen, vor allem in den Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet, wo es aktuell kaum Leerstand gibt. Das ist natürlich eine Ansage. Eine halbe Million Wohnungen baut man nicht über Nacht. Deshalb ist es umso unverständlicher, wenn auch noch bezahlbarer Wohnraum vernichtet wird wie hier in der Kohlenstraße, um stattdessen Luxus zu bauen.

Wenn die Häuser in der Kohlenstraße saniert würden und bezahlbar den Menschen zur Verfügung gestellt würden, dann würde das dazu beitragen, den Wohnungsmarkt in Bochum zu entspannen. Die Wohnungen könnten auch gezielt dazu eingesetzt werden, Menschen von der Straße zu bekommen, beispielsweise durch Housing First. Das ist ein Konzept, das Menschen ohne Bedingungen eine Wohnung gibt. Das wird sehr erfolgreich in vielen Ländern gemacht, beispielsweise in Finnland. Und da zeigt sich, dass bei Menschen in einer eigenen Wohnung auch ganz oft Begleitprobleme wie Sucht und psychische Probleme reduziert werden. Den Menschen geht es besser, wenn sie eine eigene Wohnung haben und nicht jeden Tag Sorge haben müssen, wie sie die Nacht überstehen. Das ist natürlich nicht überraschend. Und dazu passt es natürlich auch, dass viele Menschen, die auf der Straße leben, genau das fordern. Die sagen „Gebt uns einfach eine Wohnung, alles andere ist nicht so wichtig!“ Das ist natürlich keine Lösung für alle, so leicht sollte man es sich nicht machen, aber es würde schon sehr viel helfen.

Aus diesem Grund: Lasst uns weiter streiten! Gegen jede Zwangsräumung! Gegen die Vernichtung von bezahlbarem Wohnraum! Gegen einen profitgetriebenen und klassistischen Wohnungsmarkt! Gegen die Diskriminierung von armen und wohnungslosen Menschen! Und für das gute Leben für alle!

Häuser denen, die drin wohnen! Schlafen statt Strafen!